Samstag, 2. Oktober 2010

luxusprobleme

im nachbarbezirk ist jubelstimmung ausgebrochen: endlich kann die luxuskarre wieder vor der haustür stehen, die stundenlange kurverei rund um helmi und kolle (sagt ihr so überhaupt noch?) hat ein ende und alles, was nicht dazu gehört soll draußen bleiben. nun ist man wieder unter sich und das alles für nur 10 euro im jahr. "weniger parkstress - mehr lebensqualität" wirbt das bezirksamt und darum geht es ja schließlich auch: schutz der bedrohten zonen der besserverdienenden meist westdeutscher herkunft. in kreuzberg konnte das nicht durchgesetzt werden, da müsst ihr die autos jetzt mit in die wohnung, äh in die lofts nehmen. der journalist hans-ulrich jörges - selbst anwohner der kollwitzstraße - bejubeltet auf radio eins neulich morgen die neue parkraumbewirtschaftung mit der nun endlich den arschgeweihtragenden freundinnen der weddinger bierwagenfahrer einhalt geboten wird, die vor jörges wohnung in pinten (wohl keine edelitaliener) saufen. herr jörges im ernst: kein weddinger fährt mit dem auto zu seiner stammkneipe, wenn er saufen will. die wenigsten touristen sind in berlin motorisiert unterwegs. wer also soll sein auto woanders parken? die kindergärtnerinnen, die tagsüber den zahlreichen nachwuchs der medienarbeiter_innen betreuen, die lehrer_innen und sozialarbeiter_innen, in den schulen und projekten die betreiber_innen der trendigen schuppen, in denen ihr morgens mittags abends eure ingwerlatte to go holt? wahrscheinlich gab es am freitag morgen schon ein böses erwachen: als nämlich an allen autos vignetten klebten und trotzdem kein parkplatz zu finden war. denn wahrscheinlich habt ihr einfach zu viele autos vor den eigentumswohnungen. weil ihr das so gewohnt seid. wir alteingesessenen haben gar kein eigenes auto. wozu auch? trotz bahnchaos, nächtlichem pendelverkehr und bombenfunden  in der innenstadt sind wir immer noch schneller mit den öffentlichen unterwegs als mit den stinkenden großkarossen und billiger ists auch. mal ehrlich: habt ihr keine anderen sorgen, als dass ihr euch jetzt von einer freiwilligenarmee aus ein-euro jobbern eure parklücken sichern lasst, die gerade mit fünf euro mehr bedarfssicherung abgespeist werden, von denen sie sich nicht mal mehr ein bier leisten dürfen geschweige denn ein auto? ist die parkraumbewirtschaftung die adäquate antwort auf fragen der lebensqualität und des umweltschutzes? dann bin ich irritiert. ich glaube, ich habe  nach zwanzig jahren die demokratie und den kapitalismus noch gar nicht verstanden.

deshalb bin ich ja auch keine führungskraft und muss weiter draußen wohnen: unsaniert mit sporadischer warmwasserversorgung. es ist nämlich bei uns gar nicht so, wie im jüngsten zeit-reiseteil beschrieben. wir wohnen nämlich gar nicht in den neuen townhouses und auch nicht in den alten majakowskivillen. wir gehen auch nicht ins gasthaus und essen zu überteuerten eine "vermählung von steinbeißer mit wild gefangenem lachs". in unserem wohnzimmer  sitzen wir mit dicken filzbotten, weil unter uns keiner mehr wohnt, denn warum soll man die olle hütte günstig vermieten, wenn sich im nächsten jahr nach tegel das dreifache rausholen lässt? wir haben genug zum leben, aber nicht viel übrig für die lofts in der alten mälzerei. wir stopfen bücher, kind und unsere schreibtische in eine bezahlbare dreizimmerwohnung und haben angst, dass wir hier nicht mehr lange bleiben, wo wir doch irgendwann mal mehr platz brauchen. denn es ist  eine lüge, dass es hier noch bezahlbaren wohnraum gibt. und keine gentrifizierung. auch luxusprobleme, geb ich zu. die wohnung hat immerhin 90 quadratmeter, aber für eine nobelkarosse vor der tür reichts dann eben nicht mehr. und wir wolln auch nicht so tun als ob. mit den tabatabais und trittins haben wir wirklich nicht viel gemein. aber uns fragt ja keiner. vielleicht wäre es zeit, diese differenz nicht mehr zu verschleiern, da stimme ich jana hensel voll und ganz zu. aber um (das) zu verstehen, muss man sich erst mal aus dem häuschen wagen und da hilft es, ab und an zu fuß durch die gegend zu stapfen und zu sehen, wie die leute so leben. wer sich im geschützen blechkäfig nur zwischen mitte und pb bewegt und dabei sogar die paar schritte vom wagen zur wohnungstür scheut, der ist sich doch immer nur selbst der nächste und in meinen augen von einem realistischen blick sehr weit entfernt. zum feiern ist mir wirklich nicht zumute.

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