Samstag, 30. Oktober 2010

guter morgen

es ist donnerstag kurz nach zehn. auf dem pankower s-bahnhof fährt die bahn in richtung blankenfelde ein. am zug steht: potsdamer platz. ein unüberhörbares murren ertönt aus der menge der einsteigenden fahrgäste. scheiß bahn, könn die nüscht ansagen, ick könnte kotzen. man setzt sich widerwillig. der zug setzt sich in bewegung. ein knacken in der lautsprecheranlage: "achtung liebe fahrgäste, hier kommen einige informationen von ihrem wagenführer. es ist 10 uhr 7, die s-bahn verkehrt planmäßig. heute haben wir den 28. oktober, es sind 10 grad bei wolkenlosem himmel. das wetter wird heute so bleiben und am wochenende schöner werden. ich wünsche ihnen alle eine angenehme fahrt. für alle, die heute noch arbeiten müssen, ein besonderer tip: bleiben sie fröhlich und gelassen, dann klappts auch mit dem chef." (wortlaut aus der erinnerung, original war länger) der wagen schmunzelt, der junge mann gegenüber nimmt die kopfhörer ab und beginnt schallend zu lachen. beschwingt verabschieden sich einige fahrgäste an der bornholmer mit "einen schönen tag noch!". nur die alte dame mit den einkaufsbeuteln skandiert: "aber dit se nur bis potsdamer fahren, davon keen ton." aber das will schon keiner mehr hören. ein hoch auf die marketingetage der deutschen bahn. so kundenfreundlich war nie. wir fahrn jetzt öfter ohne meckern. und der fahrer kommt auf die straße der besten.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

hebammen oder der lobbyismus und die protestkultur

die mädchenmannschaft weist darauf hin: nahezu stillschweigend hat sich die situation für hebammen in deutschland massiv verschlecht und damit auch die situation für frauen, die über den ort ihrer geburt selbstbestimmt entscheiden wollen. es gab und gibt proteste, wir haben unsere unterschrift geleistet, geändert hat sich für die hebammen an den utopischen versicherungsprämien erstmal nichts, für schwangere frauen dagegen sehr viel. das geburtshaus in pankow bietet seit august keine geburten mehr an, viele freiberufliche hebammen stellen die geburtshilfe ein, bleibt also das krankenhaus als einzige möglichkeit, es sei denn, dass man sich für eine hausgeburt ohne betreuung entscheidet. dabei ist ja nicht die frage, was besser ist: krankenhaus oder geburtshaus oder hausgeburt, sondern was jede frau für sich möchte. meine über europa verstreuten freundinnen sind da ganz verschiedenen modellen ausgesetzt: während man in schweden ins krankenhaus muss, ist in holland die hausgeburt normal, nur im notfall wird eine krankenhausgeburt gewählt. dass man sich in deutschland bislang entscheiden konnte, bedeutet die qual der wahl, aber auch individuelle lösungen. dass diese nun von den versicherungen torpediert werden (und davon abgesehen auch die  sowieso schon niedrigen einkommen vieler hebammen gefährdet sind), ohne dass die regierung darauf einfluss zu nehmen gedenkt,  ist wohl der gegenwärtige lobbyistische trend, der völlig losgelöst jeglicher politischer steuerung wild (ver)waltet. ich möchte jetzt nicht die person des bundesgesundheitsministers anführen, obwohl mir sehr danach wäre mir diesen durchsetzungsschwachen jüngling hier so richtig vorzunehmen, ich möchte auch nicht die bundesfamilienministerin ins feld führen - denn es wird entscheidungsträger_innen (gibts das noch) oder sagen wir besser interessengruppen geben, denen sehr daran gelegen ist, dass diese jungen, blassen und unerfahrenen mädchen und jungen bei uns die geschicke zu lenken bestimmt wurden. ich glaube nicht, dass das verschwörungstheorien sind. 

ich glaube aber, dass sich proteste nicht mehr nur auf städtische einzelprobleme - flughäfen und bahnhöfe - beziehen sollten, sondern gegen diese form von politik generell gerichtet sein sollten. franzosen können es besser. hier hat noch niemand die arbeit niedergelegt, es sei denn, um im sinne von einzelnen gewerkschaften einen besseren lohn für einzelne tarifgruppen herauszuschlagen. teile und herrsche. es ist dieser geist der angst und dieses deutschen egomanismus, der verhindert,  dass hier mal ordentlich die straße bebt. wo protest von wohlstandsphänomenen gesteuert wird (ein flugzeug fliegt über MEIN haus, das ich mir von MEINEM hart verdienten geld gebaut habe, auweia), wird er geprobt, aber wer setzt sich ein für schwangere hartzIV-empfängerinnen, arbeitslose jugendliche mit migrationshintergrund und hebammen ohne gewerkschaft? das sind die anderen, die mit denen ich den kleinen gemeinsamen nenner nicht teile, die, über die, aber mit denen ich nicht rede. mir gehts ja diesbezüglich gut. das die regierenden auch mit uns nicht reden, weil volkes interessen nicht ihre sind, gerät dabei aus dem blick und auch, dass buhmenschen benannt werden, die ablenken sollen vom eigentlichen. deutschlands problem ist doch wirklich nicht die integration, die religiöse orientierung ihrer bürger oder der fachkräftemangel. während man medienweit laut über integrationsunwilligkeit und leitkulturen diskutiert und man hier und dort gegen dies und jenes protestiert, wird still und heimlich die gesundheitsreform durchgewinkt, das sozialpaket beschlossen und die energiepolitik gewendet.

als wir damals noch das volk waren, haben wir eine politische kultur abgelehnt, die es nicht (mehr) zugelassen hat, die menschlichen grundbedürfnisse befriedigt zu wissen. das sind - wie wir wussten - nicht nur nahrung und ein dach über dem kopf, sondern das recht auf freie entscheidungen, das recht, die geschicke des landes, in dem man lebt, mitzubestimmen, das recht in frieden zu leben. wir wollten ein land, unser land, mitgestalten. das wäre doch mal wieder eine kultur, für die es sich einzusetzen lohnt. nun könnte man sagen, genau darum geht es bei stuttgart 21, anti-akw etc., doch mir scheint der tellerrand doch noch zu hoch: er verhindert den blick auf das große und ganze. ich weiß die lösung noch nicht, aber ich weiß, dass ich mir andere debatten wünsche und andere themen des protestes und vor allem: die utopie einer anderen gesellschaft. ob die fäden dieses textes sich nun zusammenführen lassen oder nicht: wir werden den bogen schon kriegen.



Freitag, 15. Oktober 2010

wettermafia

ich hatte schon anfang der woche wieder einen begründeten verdacht: dass sie uns wieder durch die woche lotsen wollen mit falschen prognosen: kühler aber sonniger herbst. dass ich nicht lache. wo war die sonne die ganze woche über? es war genau einen tag und dann noch einen nachmittag lang sonne. das waren die tage, an denen ich im büro saß (nordseite). jetzt aber wollen sie uns auch noch verschweigen, was mit die verkäuferin im umstandmodeshop heute aus sicherer quelle berichtete (und sie sagte es, NACHDEM ich den dauenmantel gekauft habe!): es soll der kälteste winter aller zeiten werden. wörtlich sagte sie: seit immer. übersetzt: seit beginn der wetteraufzeichnung. aber das "immer" ist ein gefühltes: noch nie kam es schlimmer. immer. immer kälter wird es jetzt und im dezember werden wir so frieren, dass wir uns nach 5 grad celsius sehnen, als wärs der frühling. wir werden zittern mit wolldecken umwickelt zum spätverkauf gehen für ein brot, weil wir es nicht mehr bis zur kaufhalle schaffen vor kälte. mein kind wird keinen himmel sehen bis mai, sondern nur drinnen unter dem wärmestrahler kauern und glauben, das wäre die sonne. wir werden nicht nur nahrung für die zeit nach der geburt bunkern müssen, wir werden konserven und tiefkühlkost für ein ganzes halbes jahr auf vorrat kaufen. niemand wird uns besuchen, weil die eissschicht vor unserem haus lebensgefährlich ist. ich hoffe, dass ich auf dem weg zur klinik nicht ausrutsche. ich werde wohl doch ein paar tage auf station bleiben um heizkosten zu sparen. weil wir ja hier sowieso schon die ganze etage alleine beheizen und dann steigen noch die stromkosten für uns menschen, denen guter strom teuer ist. das alles wollte uns die wettermafia vorenthalten, die lobbypolitik mit der bundesregierung betreibt. strompreise hoch pünktlich zum kältesten winter aller zeiten. dann schreien alle nach energetischer sanierung und bumms ist das neue mietgesetz akzeptiert. und das zahlen wir alles vom niedrigeren elterngeld. und die revolution erfriert. aber seid euch eurer sache nicht so sicher. wir werden es über alle kanäle verkünden: es wird der kälteste winter seit immer. nie sollte es kälter werden. nie waren die prognosen so düster. wir werden dagegen sein und wir werden viele sein! und wir sind gewappnet. macht euch gefasst auf heiße zeiten!

Freitag, 8. Oktober 2010

morgengrauen

der morgen fing so an: hartzIV-empfänger_innen wird bereits jetzt schon das elterngeld gestrichen, obwohl das gesetz noch nicht beschlossen ist. weiter in der zeitungslektüre: die bundesregierung legt ein mietgesetz vor, nachdem jetzt die mieter nicht nur die kosten der sanierung tragen sollen (auch wenn sich dadurch keine reduktion der betriebskosten erreichen lässt) und zum ausgleich auch keine mietminderung während der baumaßnahmen geltend machen dürfen. patienten gesetzlicher krankenkassen sollen das geld für die behandlung vorstrecken, bekommen es aber in vielen fällen nicht zurück. der schlichter des konflikts um stuttgart 21, heiner geißler, macht eine offensichtlich verabredete lösung publik, an die sich die verantwortlichen minuten später nicht mehr erinnern können. kann das noch besser werden? oder ist es zeit für die brechtsche lösung: die regierung löse jetzt das volk auf und wähle sich ein neues? aber da müsste das volk erstmal aufstehen und zeigen, dass auch mit dieser regierung kein staat zu machen ist. aber wer ist das volk?

Mittwoch, 6. Oktober 2010

die praxis der lage II

um auch mal von den schönen kehrseiten der medaille zu berichten, muss nachgetragen werden, dass eine engagierte direktorin (ja es muss wohl dazu gesagt werden, dass es eine frau und mutter ist) nach kenntnis der sache zum hörer griff und die zuständigen personen anwies, unverzüglich die rechtslage einzuhalten. mit dem ergebnis, dass jetzt  die mutterschutzvertretung in trockenen tüchern ist. es erforderte jedoch mehrere (und wie mir zugetragen wurde sehr bestimmte) telefonate bis die verwaltung sich beugen wollte. die kollegin einer anderen abteilung erzählte mir, bei ihr wäre alles problemlos und freundlich verlaufen. dass es also personale willkür ist, ist eigentlich noch schlimmer als schlechte gesetze.

es geht aber auch anders diskriminierend: der vater meldet die werdende familie zum geburtsvorbereitungskurs an, der einladungsbrief ist dann aber nur an die werdende mutter adressiert. klar hat das verwaltungstechnische gründe, immerhin müssen väter für ihre kurse zahlen, was bei müttern die krankenkasse trägt ebenso wie den yogakurs und die rückbildungsgymnastik. das ist zwar schön, spicht aber doch für eine pathologisierung von mutterschaft - was als körperlich/ krank eingestuft  werden kann, wird finanziert (schön auch die anmeldungsformulare der klinik: sehr geehrte schwangere...). dennoch ist der werdende vater -zurecht - sauer, denn schließlich hat er sich um die sache gekümmert und hat doch das recht, wahrgenommen zu werden. an diesem punkt kann ich die schwierigkeit vieler väter verstehen, die im kommentar vom muttiblog ihr unwohlsein mit mangelnder anerkennung der vaterposition ausdrücken.  was aber nicht bedeutet, dass damit jetzt alles gesagt ist. denn die erfahrung nicht vorzukommen, obwohl wir uns doch gekümmert haben, ist das beinah täglich los vieler frauen. das trifft mich im beruf, wenn dem kollegen die hand gedrückt wird, obwohl meine arbeit zur debatte steht und in der elterschaft gleichermaßen. nur bleibe ich eben auch bei meinen credo: nur wer sich gehör verschafft, kann die dinge ändern. ich muss mich sichtbar machen und für meine anliegen einstehen. männer müssen sich jetzt auch für ihre aktive vaterschaft einsetzen und können sich nicht auf die (nicht vorhandenen) strukturen zurückziehen. es fängt dabei an, der hebamme die meinung zu sagen und geht weiter mit einer beschwerde an den arbeitgeber, der eine elternzeitregelung für väter nicht durchsetzen will. manchmal will mir allerdings scheinen, dass viele männer dort, wo es keine punkte bringt, wo es also um die verhandlung einer ausgegrenzten position geht, nicht so aktiv werden, wie in den bereichen, wo es für die persönliche anerkennung etwas zu gewinnen gibt. es gehört schon einiges dazu, die eigenen festen seilschaften zu zerschneiden und sich an dünnen fäden weiterzutasten. nur mut jungs: viele jahre frauenbewegung halten da wichtige erfahrungen bereit. und ihr wisst ja: von der a-klasse lernen, heißt siegen lernen.  

Samstag, 2. Oktober 2010

luxusprobleme

im nachbarbezirk ist jubelstimmung ausgebrochen: endlich kann die luxuskarre wieder vor der haustür stehen, die stundenlange kurverei rund um helmi und kolle (sagt ihr so überhaupt noch?) hat ein ende und alles, was nicht dazu gehört soll draußen bleiben. nun ist man wieder unter sich und das alles für nur 10 euro im jahr. "weniger parkstress - mehr lebensqualität" wirbt das bezirksamt und darum geht es ja schließlich auch: schutz der bedrohten zonen der besserverdienenden meist westdeutscher herkunft. in kreuzberg konnte das nicht durchgesetzt werden, da müsst ihr die autos jetzt mit in die wohnung, äh in die lofts nehmen. der journalist hans-ulrich jörges - selbst anwohner der kollwitzstraße - bejubeltet auf radio eins neulich morgen die neue parkraumbewirtschaftung mit der nun endlich den arschgeweihtragenden freundinnen der weddinger bierwagenfahrer einhalt geboten wird, die vor jörges wohnung in pinten (wohl keine edelitaliener) saufen. herr jörges im ernst: kein weddinger fährt mit dem auto zu seiner stammkneipe, wenn er saufen will. die wenigsten touristen sind in berlin motorisiert unterwegs. wer also soll sein auto woanders parken? die kindergärtnerinnen, die tagsüber den zahlreichen nachwuchs der medienarbeiter_innen betreuen, die lehrer_innen und sozialarbeiter_innen, in den schulen und projekten die betreiber_innen der trendigen schuppen, in denen ihr morgens mittags abends eure ingwerlatte to go holt? wahrscheinlich gab es am freitag morgen schon ein böses erwachen: als nämlich an allen autos vignetten klebten und trotzdem kein parkplatz zu finden war. denn wahrscheinlich habt ihr einfach zu viele autos vor den eigentumswohnungen. weil ihr das so gewohnt seid. wir alteingesessenen haben gar kein eigenes auto. wozu auch? trotz bahnchaos, nächtlichem pendelverkehr und bombenfunden  in der innenstadt sind wir immer noch schneller mit den öffentlichen unterwegs als mit den stinkenden großkarossen und billiger ists auch. mal ehrlich: habt ihr keine anderen sorgen, als dass ihr euch jetzt von einer freiwilligenarmee aus ein-euro jobbern eure parklücken sichern lasst, die gerade mit fünf euro mehr bedarfssicherung abgespeist werden, von denen sie sich nicht mal mehr ein bier leisten dürfen geschweige denn ein auto? ist die parkraumbewirtschaftung die adäquate antwort auf fragen der lebensqualität und des umweltschutzes? dann bin ich irritiert. ich glaube, ich habe  nach zwanzig jahren die demokratie und den kapitalismus noch gar nicht verstanden.

deshalb bin ich ja auch keine führungskraft und muss weiter draußen wohnen: unsaniert mit sporadischer warmwasserversorgung. es ist nämlich bei uns gar nicht so, wie im jüngsten zeit-reiseteil beschrieben. wir wohnen nämlich gar nicht in den neuen townhouses und auch nicht in den alten majakowskivillen. wir gehen auch nicht ins gasthaus und essen zu überteuerten eine "vermählung von steinbeißer mit wild gefangenem lachs". in unserem wohnzimmer  sitzen wir mit dicken filzbotten, weil unter uns keiner mehr wohnt, denn warum soll man die olle hütte günstig vermieten, wenn sich im nächsten jahr nach tegel das dreifache rausholen lässt? wir haben genug zum leben, aber nicht viel übrig für die lofts in der alten mälzerei. wir stopfen bücher, kind und unsere schreibtische in eine bezahlbare dreizimmerwohnung und haben angst, dass wir hier nicht mehr lange bleiben, wo wir doch irgendwann mal mehr platz brauchen. denn es ist  eine lüge, dass es hier noch bezahlbaren wohnraum gibt. und keine gentrifizierung. auch luxusprobleme, geb ich zu. die wohnung hat immerhin 90 quadratmeter, aber für eine nobelkarosse vor der tür reichts dann eben nicht mehr. und wir wolln auch nicht so tun als ob. mit den tabatabais und trittins haben wir wirklich nicht viel gemein. aber uns fragt ja keiner. vielleicht wäre es zeit, diese differenz nicht mehr zu verschleiern, da stimme ich jana hensel voll und ganz zu. aber um (das) zu verstehen, muss man sich erst mal aus dem häuschen wagen und da hilft es, ab und an zu fuß durch die gegend zu stapfen und zu sehen, wie die leute so leben. wer sich im geschützen blechkäfig nur zwischen mitte und pb bewegt und dabei sogar die paar schritte vom wagen zur wohnungstür scheut, der ist sich doch immer nur selbst der nächste und in meinen augen von einem realistischen blick sehr weit entfernt. zum feiern ist mir wirklich nicht zumute.