Mittwoch, 29. Dezember 2010

literaturkanon

ich sage noch: les ick nich, diese bildungsbürgerliche kanonliteratur mit den lang(atmig)en sätzen aus westdeutschen bücherregalen. kein thomas mann und das ganze zeug - das kommt mir nicht ins haus. der gatte findet, dass es gut ist klare meinungen zu haben, enthebt sich aber jedes kommentares. dann hab ich mich doch festgefressen an den buddenbrooks. buch stand lesebereit im regal, aufbauverlag, 12 mark und roch staubig nach dem dicken bücherschrank meiner eltern. am frühstückstisch erläutere ich berufsbedingt kundig das erste kapitel und merke an der stockenden diskussion, dass dem angetrauten schwäbischen arztsohn das  werk gar nicht vertraut ist. schwierig schwierig mit den identitäten und schön, dass es nach langen ehejahren literarisch noch einiges zu entdecken gibt. ich erinnere mich an den alten antiquar aus der großen hamburger, der mir zwanzigjährig einmal sagte, es gäbe zur förderung einer langlebigen beziehung keine bessere anschaffung als eine goethe-gesamtausgabe. da hätte man - wenn längst alles gesagt wäre - im alter noch viel gesprächsstoff. goethe ham wa zum glück ausreichend vorrätig.

Montag, 20. Dezember 2010

erwartungen

es ist leider so, dass ich träge geworden bin. am meisten gehirnseits. ja gut, ich lese noch eine tageszeitung, ich nehme noch teil am weltgeschehen, aber ansonsten ist nicht viel los. die intellektuelle bissigkeit ist weg. wahrscheinlich auch so eine evolutionäre einrichtung, damit die weibchen sich ganz und gar auf die aufzucht des nachwuchses konzentrieren können. alles, was mich noch wirklich aufregt, ist der angesammelte sperrmüll in unserer wohnung, die nicht vorhandenen badematten (was wenn das kind vom wickeltisch auf die harten fliesen fällt) und die unmöglichkeit, das alles in der noch vorhandenen zeit vor dem tag x zu bewältigen.
der tag x. ich denke: noch einmal tatort, vielleicht noch ein ganzes (kurzes) buch, ein paar mal mit füßen auf dem tisch lange frühstücken, die zeitung von hinten nach vorne lesen, eine stunde mit dem alten freund telefonieren über die seelenlage, fünfzehn minuten sehr heiß duschen, den tee in ruhe aufgießen, mir selbst am nächsten sein, die vertrauten abläufe. danach: blackbox. für alles, was kommt, fehlen mir die bilder. wer werde ich sein? ich habe kein programm. die unausweichlichkeit des kommenden macht mir angst, ich kann nicht mehr abdrehen, wo ich doch so gerne im letzten moment zurückrudern würde, wenigstens eine option auf zurückrudern wäre hilfreich. ich traue mich ja nicht mal für zwei tage alleine nach paris. und da konnte ich immerhin sagen, wenns schlimm wird, fliege ich zurück. vor der neugier steht bei mir immer die angst. normalerweise bewege ich mich am liebsten im vertrauten (ich erwähnte schon, ich bin veränderungslegasthenikerin). ich fahre immer ans meer, ich trinke seit jahren die gleiche sorte tee, den ich im gleichen laden kaufe. ich spreche nur (m)eine sprache, ich liebe schon ewig den selben mann. und nun soll auf einmal alles anders werden. der mann wird der herr vater und ich... heiliger bimbam. nicht, dass einen die hormonelle sondersituation und die körperlichen und seelischen anpassungsleistungen nicht schon normalitätsentfernen. immerhin trinke ich seit neun monaten keinen rotwein, gehe schon wochenlang nicht mehr arbeiten und bewege mich auch sonst in kleineren radien. aber es geht ja immer noch auch um mich. und damit soll jetzt schluss sein. so sagt man. und darauf soll ich mich freuen. aha. ich würde diese rosa brillen, mit denen werdende eltern angeblich die bevorstehende ankunft ihres kindes betrachten, gerne stapelweise abonnieren. mir muss man keine schleier von den augen reißen. mir muss mal einer sagen: halb so schlimm. wird schon. fühlt sich gut an. aber wahrscheinlich regeln auch das im zweifel die hormone. endorphingedopt werde ich dann mit inbrunst oberglucke als gäbs kein gestern. 
vor der parisreise, die ich dienstbedingt vor einigen jahren antreten musste, habe ich die ganze nacht wie ein schlosshund geheult (es ging um eine konferenz mit unterbringung im nobelhotel mitten im marais all inclusive). der zukünftige musste mich unausgeschlafen an den pitschnassen händen zum flughafen ziehen und mir versprechen, mich sofort aus der hölle zu holen, wenn die not groß wird. ich war noch nicht die gangway hoch, da umwehte mich dieser geruch von freiheit und abenteuer und als ich ohne französischkenntnisse den weg per zug in die pariser innerstadt bewältigt hatte (großstadttalent), war ich schon profi: fand den thailänder an der ecke, kam gleich mit zwei leuten ins gespräch und bummelte einen ganzen nachmittag ohne plan durch die stadt ohne mich zu verlaufen. sogar die fragen zu meinem vortrag beradebrechte ich in zwei fremden sprachen und als es nach drei tagen auf heimflug ging, träumte ich schon von einem kleinen appartement... so ähnlich würde ich mir das jetzt auch versichern wollen. die koordinaten sind natürlich gänzlich andere. denn diese reise hat kein ende. sie ist ein unendlicher aufbruch. werde ich kapitän sein, maat, rudermatrose oder ein blinder passagier?    

wenn die politische lage also in den nächsten monaten wie schon in den vorangegangenen auf diesen seiten immer öfter außen vor bleibt und privaten betrachtungen weicht, auch wenn die einträge sehr sporadisch und monothematisch werden, bitte ich die geneigten leser_innen dies in anbetracht der lage zu verzeihen. es kommen andere zeiten.  

Donnerstag, 2. Dezember 2010

schneetreiben

den ersten schnee liebe ich immer, aber dieses jahr liebe ich den ersten schnee besonders. denn ich muss nicht die mütze tief im gesicht, schalvermumt und eisbeinig auf dem bahnhof zittern, wo nichts fährt und dann alles niest - ich muss überhaupt nicht raus. ich sehe vom gemütlichen sofa aus, eine tasse pfirsichtee in der hand, dem leisen flockentreiben durch dicke scheiben zu und kümmere mich in meiner buddharuhe nicht um die heizkosten (mir ist sowieso immer warm in letzter zeit). ich stopfe ein paar selbst gebackene plätzchen in mich rein und fühle mich wie tiger und bär in panama - so gut wie nie. brüten kann auch schön sein. vielleicht stapfen wir dann nachher doch noch durch den weißen park und ich mache erste tapsen in eine noch unberührte schneedecke. dann sage ich zu dem kleinen zauberbärchen, dass gerade noch viel fett zulegt für die kommenden kalten tage in der außenwelt: guck doch mal, wie schön das ist!